LG Berlin, Urteil vom 07.06.2017 - 18 S 211/ 16
Darf der Mieter die Miete mindern, wenn auf dem Nachbargrundstück
gebaut wird? Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2015
ging
man eigentlich davon aus, dass eine Minderung nur noch unter sehr engen
Voraussetzungen möglich sein wird. Nachdem bereits die 67. Kammer des
Landgerichts Berlin entgegen dieser Rechtsprechung des BGH dem Mieter
eine Minderung zuerkannt hat, weicht nun auch die 18. Kammer des
Landgerichts (inzwischen in 64. Kammer umbenannt) von der Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs offen ab.
Der Ausgangsstreit: Die Parteien sind über einen
Wohnraummietvertrag aus dem Jahr 2010 miteinander verbunden. Der Mieter
ist
im Jahr 2010 von Mainz nach Berlin gezogen. Ihm war, im Gegen-satz zur
Vermieterin, nicht bekannt, dass auf der gegenüberliegenden Straßenseite
ein großer Gebäudekomplex errichtet werden sollte. Mit der Errichtung
wurde Ende 2014 über mehrere Grundstücke hinweg begonnen. Der Abschluss
der Baumaßnahmen wurde für September 2016 angekündigt. Der Mieter
verlangte die Feststellung, dass er zur Minderung der Miete um 30%
berechtigt
ist. Das Amtsgericht hatte ihm eine Minderung von 15% der Miete ab
September 2015 bis zum Abschluss der Außenarbeiten an dem Bauvorhaben
zugestanden.
Die Entscheidung: Die 18. Kammer des Landgerichts Berlin bestätigt das amtsgerichtliche Urteil. Hierbei führt sie zunächst
einmal aus, weshalb nach ihrer Ansicht der Mieter trotz der so genannten Bolzplatzentscheidung des Bundesgerichtshofs zur Minderung der Miete berechtigt ist. Nach Ansicht der 18. Kammer ist
die Orientierung nach
§ 906 BGB, wie der BGH sie vorsieht, nicht zweckmäßig. Sie führt nicht
zu einer Teilhabe des Mieters an der Situationsgebundenheit des
Grundstücks, sondern weist ihm letztlich das alleinige Risiko für
Wohnwertverschlechterungen der Umgebung während der Zeit des
Mietverhältnisses
zu. Dabei sieht das Gesetz in § 536 a und 536 b BGB vor, dass
nachträgliche Veränderungen alleine der Risikosphäre des Vermieters
zugeordnet
werden. Auch sei die Grenze der Zumutbarkeit der nachbarrechtlichen
Vorschrift des § 906 Abs. 2 S. 2 BGB anders zu beurteilen als nach
mietrechtlichen Grundsätzen. Weiter besteht die Möglichkeit, dass der
Nachbar aus der Bautätigkeit auf dem Nachbargrundstück einen Nutzen
durch
die damit verbundene Wertsteigerung zieht. In jedem Fall hat der
Grundstückseigentümer ein Interesse an der Duldung der Bautätigkeit, da
er
seinerseits auf die Duldung vergleichbarer Baumaßnahmen durch den
Nachbarn angewiesen ist. Der Mieter befindet sich demgegenüber in einer
vollkommen
anderen Situation. Regelmäßig wird sich die Miete bereits daran
orientieren, wie attraktiv die Nachbarschaft ist. Für den Zeitraum der
Bautätigkeit nimmt diese Attraktivität aber erheblich ab. Die
Wahrscheinlichkeit, dass ein Mietverhältnis noch während der Bauzeit
endet, ist
größer, als dass es verkauft wird. Zumindest bei Baumaßnahmen, die
länger als 6 Monate andauern, soll des Mieter deshalb zur Minderung
berechtigt
sein. Im Anschluss an diese Ausführungen stellt die 18. Kammer dann
aber fest, dass es hierauf im vorliegenden Fall überhaupt nicht ankommt.
Denn der Vermieter wusste von den bevorstehenden Bauarbeiten, der
Mieter aber nicht. In einem solchen Fall durch ergänzende
Vertragsauslegung
dem Mieter eine Minderung zu verwehren, wäre grob unbillig.
Abschließend erklärt die Kammer des Landgerichts dann noch, dass, selbst
wenn die
Bolzplatzentscheidung anwendbar wäre, der Nachweis, dass dem Vermieter
keine Unterlassungs- oder Ausgleichsansprüche gem. § 906 Abs. 2 S. 2 BGB
zustehen, dem Vermieter obliegt.
Praxistipp: Die Bolzplatzentscheidung des
Bundesgerichtshofs wurde allgemein so aufgefasst, dass sie der zu diesem
Zeitpunkt
stark ausdifferenzierten „Baulückenrechtsprechung“ der Instanzgerichte
ein Ende setzen wollte. Nach dem Bundesgerichtshof sollten Mieter nur
dann zur Minderung berechtigt sein, wenn sie entweder eine
Beschaffenheitsvereinbarung zur Ruhe des Mietobjekts mit dem Vermieter
geschlossen
hatten oder aber dieser gemäß § 906 BGB Unterlassungs- oder
Ausgleichsansprüche gegen den Nachbarn hat. Diesem Urteil aus dem Jahr
2015 ist
bereits die 67. Kammer des Landgerichts Berlin mit einem Urteil aus dem
Jahr 2016 entgegengetreten.
Das Landgericht München ist der Ansicht, dass zumindest die
Beweislastverteilung des Bundesgerichtshofs nicht nachvollzogen werden
kann.
Nunmehr folgt also auch die 18. Kammer dieser erheblichen Kritik und
verwirft in ihrem Urteil die Entscheidung des Bundesgerichtshofs. An der
Entscheidung besonders bemerkenswert ist, dass sie überhaupt so
umfangreich zu der Bolzplatzentscheidung des Bundesgerichtshofs Stellung
nimmt.
Die 18. Kammer hätte aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls
(Kenntnis des Vermieters von der zu erwartenden Großbaustelle) seine
Entscheidung allein damit begründen können, dass hier eine ergänzende
Vertragsauslegung grob unbillig wäre. Zumindest ist jetzt bekannt, wie
sich die 18. (64.) Kammer des Landgerichts zu der Frage der Minderung
der Miete aufgrund von Bauarbeiten in der Nachbarschaft positionieren
wird.