Nach Ansicht der 18. Kammer des Landgerichts Berlin besteht
in Berlin keine örtliche Verkehrssitte, dass Balkone immer mit 50% der Fläche
in die Berechnung der Wohnfläche mit einfließen. Bei Mietverträgen, die nach
dem Jahr 2003 abgeschlossen wurden und die über einen Balkon verfügen, besteht
deshalb eine gute Chance, dass die tatsächlich vorhandene Fläche geringer ist,
als die vermietete.
Der Ausgangsstreit:
Die Parteien sind über einen Mietvertrag für eine Wohnung aus dem Jahr 2007
miteinander verbunden. Die Vermieterin verlangte mit Schreiben vom 30.01.2012
(!) von dem Mieter die Zustimmung zur Erhöhung der Nettokaltmiete. Diese machte
mit einer Widerklage einen Anspruch auf Rückzahlung überbezahlter Miete für den
Zeitraum Januar 2009 bis März 2012 geltend.
In dem Mietvertrag wurde die Wohnfläche mit 94,48 m²
angegeben. Das Amtsgericht hatte hierzu ein Sachverständigengutachten
eingeholt, nachdem die Wohnfläche 84,01 m² betragen soll. Der Sachverständige
hatte die Wohnfläche nach der Wohnflächenverordnung berechnet und dabei die
Fläche des hofseitigen Balkons zur Hälfte und die des straßenseitigen Balkons
zu einem Viertel berücksichtigt.
Das Amtsgericht folgte dieser Wertung nicht und legte seiner
Entscheidung eine Wohnfläche von 85,97 m² zugrunde, da nach Ansicht des
Amtsgerichts sämtliche Balkone mit der Hälfte ihrer Fläche zu berücksichtigen
sind.
Die Entscheidung:
Das Landgericht Berlin hebt die Entscheidung des Amtsgerichts überwiegend auf,
gesteht der Vermieterin eine geringere Mieterhöhung zu und verurteilt sie
gleichzeitig zur Rückzahlung von überbezahlter Miete in Höhe von 1.827,93 €.
Die Berücksichtigung der Fläche des straßenseitigen Balkons
mit 50% seiner Fläche bei der Berechnung der Wohnfläche ist nach Ansicht des
Landgerichts fehlerhaft. Da die Parteien keine Berechnungsweise der Wohnfläche
vereinbart haben, sind die Wohnflächen für den nach 2003 abgeschlossenen
Mietvertrag nach der Wohnflächenverordnung (WoFlV) zu berechnen. Nach § 4 Nr. 4 WoFlV werden Balkone, Loggien,
Dachgärten und Terrassen in der Regel zu einem Viertel, höchstens jedoch
zur Hälfte anzurechnen.
Das Landgericht ließ für seine Entscheidung ein zusätzliches
Sachverständigengutachten zu der Frage einholen, ob in Berlin eine örtliche
Verkehrssitte besteht, die Flächen von Balkonen abweichend von § 4 Nr. 4 WoFlV generell
mit 50% ihrer Fläche zu berücksichtigen. Das Ergebnis der Umfrage war aber
nicht einheitlich, so dass keine örtliche Verkehrssitte festgestellt werden
konnte. Das Gericht äußert die Ansicht, dass die häufig anzutreffende Praxis,
die Flächen mit 50% zu berücksichtigen, auf einem bloßen Rechtsanwendungsfehler
beruht.
Das Gericht gelangt so mit dem ersten Sachverständigen zu dem
Ergebnis, dass die Wohnfläche in dem konkreten Fall lediglich 84,01 m² beträgt.
Damit liegt der Unterschied zwischen vereinbarter und tatsächlich vorhandener
Wohnfläche bei mehr als 10% der Fläche, sodass nach der ständigen
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Mietsache mangelhaft ist. Deshalb
fällt die Mieterhöhung geringer aus und der Mieter kann auch noch zu viel
geleistete Miete zurückfordern, da er die Miete eigentlich, unerkannt mindern
durfte.
Praxistipp:
Diese recht theoretischen Ausführungen führen zu einem für
Berliner Mieter und Vermieter doch recht explosiven Ergebnis. Wenn in Berlin in
den ab 2004 abgeschlossenen Mietverträgen Balkone im Regelfall mit einem
Viertel ihrer Fläche anzusetzen sind, führt dies bei einer Vielzahl von
Mietverhältnissen zu einer Korrektur der Wohnfläche nach unten.
Dies ist für Mieter nicht nur dann interessant, wenn die
Abweichung mehr als 10% der vertraglich vereinbarten Fläche beträgt. Nach der
neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 18.11.2015 -
VIII ZR 266/14) ist unabhängig von dem Umfang der Abweichung die tatsächliche
Wohnfläche bei der Mieterhöhung zugrunde zu legen. Das gleiche wird für
Betriebskostenabrechnungen und Modernisierungsmieterhöhungen gelten. Folgt man
der Ansicht des Amtsgerichts Frankfurt a.M. (AG Frankfurt a.M., Urteil vom
31.08.2017 - 33 C 864/17), kommen sogar weitreichende Rückforderungsansprüche
des Mieters für in der Vergangenheit zu viel geleisteter Miete in Betracht.
Vermieter sollten bei Abschluss von Mietverträgen darauf
achten, dass die Art und Weise der Berechnung der Flächen, insbesondere von
Balkonen, Loggien, Wintergärten und Terrassen, in dem Mietvertrag ausdrücklich
geregelt ist. Auf die Regelung der Wohnflächenverordnung muss nämlich nur dann
zurückgegriffen werden, wenn die Parteien keine ausdrückliche Vereinbarung zur
Berechnung der Wohnflächen, z.B. zur Anrechnung von Balkonen mit 50% ihrer
Fläche, getroffen haben.