Im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahren entschied der
Europäische Gerichtshof mit dem Urteil vom 3.10.2001 im Wesentlichen
über Fragen zum Anwendungsbereich der EU Richtlinien 93/104
(Arbeitszeitrichtlinie) und 391/89 (Grundrichtlinie) sowie zur Auslegung
des Arbeitszeitbegriffs.
Im Ausgangsverfahren gegen das Gesundheitsministerium der
Regionalregierung von Valencia, welches vor dem spanischen Gericht
verhandelt wurde, beantragte die Gewerkschaft der Ärzte im öffentlichen
Gesundheitswesen eine Auslegung der nationalen Regelungen unter
Berücksichtigung der europäischen Arbeitszeitrichtlinie 93/104 und die
Feststellung, dass die wöchentliche Arbeitszeit 48 Stunden nicht
überschreitet.
Das nationale Gericht setzte das Verfahren aus und legte die Fragen dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vor.
Dieser entschied, das die betroffenen Ärzte im öffentliche
Gesundheitswesen vom Anwendungsbereich der Richtlinie 93/104 erfasst
werden. Begründet wurde dieses u.a. damit, dass Art. 1 Abs. 3 der
Richtlinie sich ausdrücklich auf Art. 2 der Grundrichtlinie (89/391)
bezieht, welcher wiederum in Abs. 2 spezifische Ausnahmen vom
Anwendungsbereich nennt. Diese liegen nur vor, wenn bestimmte
Tätigkeiten im öffentlichen Dienst einer Anwendung entgegenstehen, wobei
explizit die Streitkräfte, die Polizei und der Katastrophenschutz als
Beispiele genannt werden. Die Tätigkeit der Ärzte in öffentlichen
Gesundheitseinrichtungen ist nicht in diesem Sinne zu verstehen. Die
Tätigkeit fällt auch schon deswegen nicht aus dem Anwendungsbereich,
weil das Ziel der Grundrichtlinie, die Verbesserung der Sicherheit und
des Gesundheitsschutzes, weit zu verstehen ist, so dass die genannten
Ausnahmen eng auszulegen sind.
Ein wichtiger Bestandteil des Urteils war die Entscheidung zu der
Frage, ob der Bereitschaftsdienst der Ärzte in Form von persönlicher
Anwesenheit in der Gesundheitseinrichtung als Arbeitszeit im Sinne der
Arbeitszeitrichtlinie zu verstehen ist. Der EuGH bejahte dieses mit der
Begründung der Definition des Arbeitszeitbegriffes in Art.2 Nr.1.
Arbeitszeit ist danach die Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer
gemäß den einzelstaatlichen Vorschriften und Gepflogenheiten arbeitet,
dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder
Aufgaben wahrnimmt. Es handelt sich somit um 3 Voraussetzungen. Nach
Ansicht des EuGH sind bei den Ärzten im Ausgangsverfahren unstreitig die
beiden ersten Voraussetzungen erfüllt. Des weiteren liegt in der
Verpflichtung sich am Arbeitsplatz aufzuhalten und verfügbar zu sein
auch eine Wahrnehmung der Aufgaben, so dass auch die dritte
Voraussetzung erfüllt ist. Diese Auslegung ist auch im Sinne des Ziels
der Richtlinie, die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer zu
gewährleisten.
Der Bereitschaftsdienst ist Arbeitszeit und damit auch auf die zulässige
wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden gem. Art. 6 der
Arbeitszeitrichtlinie anzurechnen.
Der Europäische Gerichtshof äußerte sich auch zu der Bewertung des
Dienstes in Form von Rufbereitschaft. Er stellt klar, dass während der
Rufbereitschaft nur die tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung zur
Arbeitszeit zählt, da die betroffenen Ärzte in dieser Zeit eigenen
Interessen nachgehen können und die Zeit frei gestalten können.
II. Nationale Rechtsprechung zum Bereitschaftsdienst
Der deutsche Gesetzgeber hat zur Umsetzung der Arbeitszeitrichtlinie
das Arbeitszeitgesetz geschaffen. Es beinhaltet in § 2 ArbZG eine
Definition zum Begriff Arbeitszeit, wonach Arbeitszeit die Zeit von
Beginn bis Ende der Arbeit ohne Ruhepausen ist. Eine Regelung
hinsichtlich des Bereitschaftsdienstes ist nicht enthalten. In § 5 Abs.
3 ArbZG ist lediglich normiert, dass in Krankenhäusern und anderen
Einrichtungen zur Behandlung, Pflege und Betreuung von Personen die
einzuhaltende Ruhezeit 11 Stunden betragen muss. Kürzungen der Ruhezeit
durch Inanspruchnahme während des Bereitschaftsdienstes oder einer
Rufbereitschaft, dürfen nicht mehr als die Hälfte der Ruhezeit betragen
und können zu anderen Zeiten ausgeglichen werden. Daraus lässt sich
folgen, dass zumindest die Zeit des Bereitschaftsdienst während der ein
Arbeitnehmer keine tatsächliche Leistung erbringt gesetzlich zur
Ruhezeit gezählt wird.
Nach ständiger Rechtsprechung liegt Bereitschaftsdienst vor, wenn der
Arbeitnehmer sich für Zwecke des Betriebes an einer vom Arbeitgeber
bestimmten Stelle innerhalb oder außerhalb des Betriebes aufzuhalten
hat, um, sobald es notwendig ist, seine volle Arbeitstätigkeit
unverzüglich aufnehmen zu können. Fraglich ist somit, ob der
Bereitschaftsdienst in dessen Verlauf der Arbeitnehmer privaten
Interessen nachgehen und schlafen kann, als Arbeitszeit anzurechnen ist.
So entschieden hat das Arbeitsgericht Köln in seinem Urteil vom
08.11.01 (Az.: ö.D. 1 Ca 2113 d/01)
Das Bundesarbeitsgericht hat eine insbesondere für Kliniken und
Klinikpersonal weitreichende Entscheidung zur arbeitszeitrechtlichen
Beurteilung des Bereitschaftsdienstes erlassen und sich insofern der
Auffassung des Europäischen Gerichtshofes angeschlossen. Ist ein Arzt
vertraglich verpflichtet, während des Bereitschaftsdienstes im
Klinikgebäude zu bleiben, handelt es sich um Arbeitszeit. Die Anrechnung
als Arbeitszeit ergibt sich aus der EU-Arbeitszeitrichtlinie 93/104 vom
23.11.1993 (Urteil des BAG vom 18.02.2003,1 ABR 2/02)
III. Auswirkungen des EuGH Urteils auf das nationale Recht
Es bleibt abzuwarten, welche weiteren Auswirkungen das Urteil des
Europäischen Gerichtshof auf die nationale Rechtsprechung und welche
Konsequenzen der Gesetzgeber daraus folgt.
Grundsätzlich haben Richtlinien jedoch keine unmittelbare
Anwendbarkeit zur Folge, da sie nur einen Befehl an den nationalen
Gesetzgeber zur Umsetzung der Bestimmungen in nationales Recht
beinhalten. Eine Besonderheit besteht nur zwischen dem öffentlichen
Arbeitgeber und seinen Arbeitnehmern, da dieser als Adressat der
Richtlinie gilt und es nicht hinnehmbar wäre, wenn er sich darauf
beruft, die Richtlinie nicht umgesetzt zu haben. Daher gilt eine
Richtlinie in einem solchen Verhältnis unmittelbar, allerdings nur, wenn
die Frist zur Umsetzung abgelaufen ist und die Richtlinie inhaltlich
hinreichend bestimmt und unbedingt ist. Die Bestimmungen dürfen ferner
nur zugunsten des Arbeitnehmers sein.
Arbeitnehmer in der privaten Wirtschaft haben gegenüber ihren
Arbeitgebern auch im Falle der nicht fristgemäßen und nicht
hinreichenden Umsetzung keinen unmittelbaren Anspruch aus der
Richtlinie, doch muss das Arbeitszeitgesetz richtlinienkonform ausgelegt
werden.
Eine Umsetzung erfolgte in Deutschland durch das Arbeitszeitgesetz.
Das Urteil des EuGH selbst wirkt nur zwischen den streitenden
Parteien, doch zeichnet sich auch in Deutschland eine Rechtsprechung ab,
die der Beurteilung des EuGH hinsichtlich des Bereitschaftsdienstes
folgt. So entschied das Arbeitsgericht Gotha (AZ 3 BV 1/01), dass ein
Dienstplan, der eine durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit von mehr
als 48 Stunden festschreibt, unwirksam ist. Dabei sind
Bereitschaftsdienste vollständig als Arbeitszeit zu berücksichtigen.
Zuletzt entschied auch das Arbeitsgericht Kiel am 9.11.2001 im Sinne der
EuGH Rechtsprechung.